Künstliche Intelligenz in der Schule

Timur Almeev, Digitales Innovationszentrum Rostock

An einem sonnigen Dienstagmorgen betritt Lehrerin Julia Berger ihr Klassenzimmer und erwartet einen normalen Schultag. Doch etwas ist anders. Die Schüler:innen, normalerweise laut und lebhaft, sind ungewöhnlich vertieft in ihre Tablets. Neugierig nähert sie sich einer Gruppe und entdeckt, dass sie mit ChatGPT, einem KI-basierten Sprachmodell, interagieren. Julia beobachtet fasziniert, wie die Schüler:innen diverse mathematische Rechenaufgaben lösen und tiefsinnige Essays verfassen – alles mit Hilfe der künstlichen Intelligenz (KI).

In diesem Moment dämmert es Julia, dass sich die Bildungslandschaft unwiderruflich verändert hat. Während sie zusieht, wie die KI Antworten liefert, die sie selbst gegeben hätte, beginnt sie zu realisieren, dass ihre Rolle als Wissensvermittlerin sich wandeln wird. Dieser Tag markiert den Beginn einer neuen Ära – nicht nur für Julia, sondern für die gesamte Bildungswelt. Eine Ära, in der KI nicht mehr nur ein Hilfsmittel, sondern ein zentraler Akteur im Klassenraum ist. Wie sieht diese neue Bildungswelt aus?

In verschiedenen Veranstaltungsformaten beleuchten die Experten des Digitalen Innovationszentrums Rostock regelmäßig mit interessierten Personen oder Unternehmen unterschiedlichster Branchen die Veränderungen, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz für die Arbeitswelt mit sich bringt. Neben einer generellen Sensibilisierung für das Thema KI wird dabei der aktuelle Stand in der KI-Technologie vorgestellt. Es werden zudem Vorteile und Möglichkeiten eines Einsatzes sowie Gefahren und Risiken betrachtet. In weiterführenden Workshops werden konkrete Anwendungsfälle für und mit KI aufgezeigt, in individuellen Sprechstunden können konkrete, weiterführende Fragen gestellt werden.

1. Entwicklung und aktueller Stand der KI

Doch werfen wir zunächst einen Blick zurück: Die Künstliche Intelligenz kam scheinbar aus dem Nichts und doch zeigen vorliegende, aktuelle Daten und Statistiken – vorrangig aus anderen Ländern – wie allgegenwärtig sie im Bildungssystem in nur wenigen Jahren geworden ist. So geben 43 Prozent der US-amerikanischen Collegestudenten zu, KI-Tools wie ChatGPT zum Lernen zu nutzen und finden 90 Prozent der Studierenden es besser, mit ChatGPT zu lernen, als einen Tutor zu verwenden. Die Hälfte der Lehrkräfte selbst nutzt KI für die Unterrichtsplanung. Der KI-Bildungsmarkt wird in den USA bis 2027 voraussichtlich 20 Milliarden US-Dollar erreichen.1

Auch an einer der renommiertesten Universitäten des Vereinigten Königreichs spaltet die Tatsache, dass 47,3 Prozent der Studenten KI für ihre Abschlussarbeiten verwendet haben, die Meinungen.2 Einerseits ist es nicht verwunderlich, dass die Studenten in einem so wettbewerbsintensiven Umfeld nach einem Vorteil suchen. Andererseits stellt sich die Frage, ob dies den wahren Wert eines Cambridge-Abschlusses widerspiegelt.

Eine weitere Einsatzmöglichkeit von KI besteht darin, Schüler:innen, die Gefahr laufen, durchzufallen, mittels dieser KI zu identifizieren, um dann Maßnahmen zu ergreifen, die ihnen helfen, die Situation zu verbessern. Im Jahr 2016 setzte das Ivy Tech Community College in Indiana diese Technologie ein. 98 Prozent der Schüler, die aufgrund von KI-Vorhersagen Unterstützung erhielten, erreichten eine Note von C oder besser. 80 Prozent derjenigen, die nicht kontaktiert wurden, fielen wie vorhergesagt durch. Nach der erfolgreichen Pilotstudie wurden 34.712 weitere Studenten erfolgreich unterstützt.3

Der Forbes Advisor fasst insgesamt 36 Statistiken und Trends zum Thema Künstliche Intelligenz zusammen. Die Daten zeigen, wie KI beispielsweise in Form von Chatbots bereits verschiedene Branchen und Arbeitnehmende beeinflusst. Die Zahlen belegen die rasante Entwicklung von KI und ihr Potenzial, die Zukunft zu gestalten – das gilt auch für Deutschland:4

Mehr als jeder zweite Deutsche nutzt Sprachassistenten

55 Prozent der über 18-Jährigen setzen mindestens gelegentlich die Stimme ein, um Informationen abzufragen, die Navigation zu bedienen oder andere Apps zu verwenden.5

Die Hälfte der deutschen Schüler und Schülerinnen haben schon einmal ChatGPT genutzt.6

2. Vorteil: Personalisiertes Lernen

Nun zurück ins Klassenzimmer. Stellen Sie sich eine KI-gestützte Lernplattform vor, auf der Schüler:innen Matheaufgaben bearbeiten. Ein Schüler, der Schwierigkeiten mit Bruchrechnung hat, bekommt nach einer falschen Antwort sofort ein maßgeschneidertes Tutorial angezeigt, das ihm die Grundlagen der Bruchrechnung auf eine für ihn verständliche Weise erklärt. Gleichzeitig erhält ein anderer Schüler, der in diesem Bereich bereits fortgeschritten ist, komplexere Aufgaben zur Bruchrechnung, um ihn weiter zu fördern.

Die KI analysiert kontinuierlich, wie die Schüler:innen auf die Aufgaben und Tutorials reagieren, und passt die folgenden Lerninhalte entsprechend an. So bekommt jede:r Schüler:in genau das Lernmaterial und die Herausforderungen, die es benötigt, um das volle Potenzial zu entfalten. Die dynamische Anpassung anhand der Leistungen und des Feedbacks der Schüler:innen optimiert den Lernprozess kontinuierlich. Diese Inklusion verschiedener Lernstile und -geschwindigkeiten öffnet Türen für alle Schüler:innen, unabhängig von ihren Vorkenntnissen. Indem personalisiertes Lernen durch KI allen Schüler:innen erlaubt, auf dem eigenen Niveau und Tempo zu lernen, demokratisiert es die Bildung und schafft gleiche Chancen für alle.

3. Neue Lösungsansätze und Lehrmethoden

Die Integration von KI in die Bildungswelt eröffnet neue Horizonte, bringt jedoch auch Herausforderungen mit sich, die einen reflektierten und angepassten Ansatz in Lehrmethoden und Curricula erfordern. Eine Schlüsselkomponente in diesem Prozess ist die Einbettung von Medienkompetenz und kritischem Denken in die Lehrpläne. In einer Ära, in der Informationen und Desinformation gleichermaßen zugänglich sind, ist es entscheidend, dass Schüler:innen lernen, Informationen zu bewerten, Quellen kritisch zu prüfen und zwischen verlässlichen und irreführenden Inhalten zu unterscheiden. Dieser Bildungsansatz sollte auch ein tiefgehendes Verständnis für die Funktionsweise und Grenzen von KI-Systemen beinhalten, um realistische Erwartungen an diese Technologien zu fördern und ihre potenziellen gesellschaftlichen Auswirkungen zu verstehen.

Ebenso wichtig ist die Integration projektorientierter Aufgaben, die die Schüler:innen nicht nur zur Nutzung von KI anregen, sondern auch zur kritischen Auseinandersetzung mit dieser. Durch solche Projekte, die von der Entwicklung einfacher KI-Modelle bis hin zur Analyse ihrer Ergebnisse und der Diskussion ethischer Fragen reichen, können praktische Fähigkeiten im Umgang mit Technologie entwickelt werden. Gruppenprojekte, die zur Zusammenarbeit anregen und gleichzeitig das kritische Denken fördern, sind hier besonders wertvoll. Sie ermöglichen den Austausch verschiedener Perspektiven und fördern die Fähigkeit, Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten.

4. Format Kurzfilm: ein neuer Lehransatz

Die Erstellung von Kurzfilmen als Lehrmethode stellt eine innovative und zeitgemäße Ergänzung des Bildungsansatzes dar, insbesondere in einer Ära, in der visuelle Medien und digitale Kommunikation immer dominanter werden. Durch die Aufgabe, zu einem Thema einen Kurzfilm zu drehen, werden Schüler:innen nicht nur dazu angehalten, sich kreativ und kritisch mit dem gewählten Inhalt auseinanderzusetzen, sondern entwickeln auch wichtige Fähigkeiten in den Bereichen Medienproduktion und -analyse. Dieser Prozess fördert die kritische Reflexion und ermöglicht es den Schüler:innen, ihre Gedanken und Ansichten auf eine Art und Weise auszudrücken, die sowohl persönlich als auch öffentlich resoniert.

In der Praxis bedeutet dies, dass Schüler:innen ein Thema wählen, das für sie von Bedeutung ist – möglicherweise im Zusammenhang mit KI oder einem anderen relevanten Bereich – und dieses Thema durch das Medium des Kurzfilms erforschen. Sie müssen ein Drehbuch schreiben, die Szenen planen, filmen und den Film schneiden, was ein tiefes Eintauchen in das Thema sowie die Entwicklung von Projektmanagement- und Teamarbeitsfähigkeiten erfordert. Dieser Ansatz ist besonders wertvoll, da er authentische Ausdrucksmöglichkeiten bietet und den Schüler:innen erlaubt, ihre eigene Stimme zu finden und zu nutzen. Zudem lernen sie, wie man komplexe Ideen und Argumente in einem Format darstellt, das für ein breites Publikum zugänglich und verständlich ist.

Darüber hinaus bietet die Kurzfilmproduktion eine hervorragende Plattform zur Bewertung von Schulleistungen. Da ein Film schwer zu 'faken' ist, bietet er einen echten Einblick in das Verständnis, die Fähigkeiten und die Kreativität der Schüler:innen. Lehrkräfte können die Filme nicht nur im Hinblick auf inhaltliche Aspekte bewerten, sondern auch die technischen Fähigkeiten, die Teamdynamik und die Fähigkeit zur kritischen Auseinandersetzung mit einem Thema berücksichtigen. Dieser ganzheitliche Ansatz in der Bewertung reflektiert die vielschichtigen Kompetenzen, die in der heutigen, zunehmend digitalisierten Welt erforderlich sind.

5. Veränderung der Lehrer:innenrolle

Angesichts der schnellen Fortschritte in der künstlichen Intelligenz wird oft diskutiert, wie sich die Rolle der Lehrer:innen in der Zukunft verändern könnte. Es gibt die Befürchtung, dass KI die Hauptrolle in der Wissensvermittlung übernehmen könnte, was die Lehrer:innen scheinbar auf die Rollen von Mentor:innen und Aufsichtspersonen reduziert. Diese Ansicht übersieht jedoch die unverzichtbare Bedeutung der menschlichen Interaktion, insbesondere bei der Förderung von kritischem Denken und Problemlösungsfähigkeiten, die zentrale Aspekte des Bildungsprozesses sind und am besten von Lehrer:innen vermittelt werden. KI wird vorwiegend bei repetitiven und datenintensiven Aufgaben eingesetzt, um Lehrer:innen zu entlasten und ihnen mehr Zeit für ihre wesentliche Rolle in der persönlichen und intellektuellen Entwicklung ihrer Schüler:innen zu geben. So behalten Lehrer:innen ihre zentrale Bedeutung als Wissensvermittler und Förderer von Schlüsselkompetenzen, unterstützt durch die effizienzsteigernden Möglichkeiten der KI.

Lehrer:innen spielen außerdem eine unersetzliche Rolle in der Bildung, die weit über die bloße Wissensvermittlung hinausgeht. Sie sind nicht nur Mentor:innen und Vorbilder, sondern oft auch emotionale Stützen für ihre Schüler:innen. Dabei lehren sie wichtige Werte wie Ethik, Moral und kritisches Denken, inspirieren und motivieren ihre Schüler:innen und prägen oft nachhaltig deren Leben mit ihren Worten und Handlungen.

Um die menschliche Komponente in der Bildung zu bewahren, während KI integriert wird, sind mehrere Ansätze denkbar. Erstens sollte KI als ergänzendes Werkzeug angesehen werden, das Lehrkräfte unterstützt, aber nicht ersetzt. Diese Technologie kann administrative und repetitive Aufgaben übernehmen, sodass Lehrer:innen mehr Zeit und Energie für die individuelle Betreuung ihrer Schüler haben. Zweitens sollten Schulcurricula weiterhin stark auf soziale und emotionale Lernaspekte ausgerichtet sein. Fähigkeiten wie Empathie, zwischenmenschliche Kommunikation und Teamarbeit, die nicht durch KI gelehrt werden können, erfordern menschliche Interaktion und Erfahrung. Drittens muss die Rolle der Lehrer:innen als Vorbilder und Mentor:innen gestärkt und anerkannt werden, indem ihre einzigartigen menschlichen Qualitäten und Fähigkeiten im Bildungsprozess gefördert werden. Viertens sollten Lehrer:innen in der Nutzung von KI-Technologien geschult werden, um zu verstehen, wie sie diese am besten einsetzen können, ohne die menschliche Komponente zu verlieren. Gleichzeitig sollten sie ermutigt werden, ihre menschlichen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und zu nutzen. Diese Ansätze sichern die Balance zwischen technologischer Innovation und der unersetzlichen menschlichen Dimension im Bildungswesen.

6. Vorbereitung der Kinder auf eine digitale Zukunft

Die frühzeitige Begegnung mit Technologien wie der künstlichen Intelligenz im Bildungskontext ist ein erster Schritt, um Schüler:innen auf eine zunehmend digitalisierte Welt vorzubereiten. Doch es bedarf mehr als nur des Kontakts mit neuer Technologie. Lehrer:innen spielen eine entscheidende Rolle in diesem Prozess, indem sie den Schüler:innen nicht nur das technische Wissen vermitteln, sondern auch dabei helfen, dieses Wissen in einen breiteren Kontext zu setzen und praktische Anwendungsmöglichkeiten aufzuzeigen.

Die Aufgabe der Lehrkräfte geht dabei weit über die reine Wissensvermittlung hinaus. Sie müssen die Schüler aufnehmen und aktiv unterstützen, sich in der neuen, digital geprägten Welt zurechtzufinden. Ein wichtiger Aspekt ist es, Ängste bezüglich der Zukunft und der Rolle von KI im Arbeitsmarkt zu adressieren. Lehrer:innen können dazu beitragen, die Sorgen der Schüler:innen zu entkräften, indem sie die Chancen und Möglichkeiten hervorheben, die neue Technologien bieten, und die Bedeutung von menschlichen Fähigkeiten und Kreativität betonen.

Es ist ebenso entscheidend, dass Lehrer:innen die Schüler:innen motivieren, ihre persönlichen Interessen und Leidenschaften zu verfolgen, unabhängig davon, wie die technologische Landschaft sich entwickelt. Durch die Förderung von kritischem Denken und Problemlösungsfähigkeiten bereiten sie die Schüler:innen darauf vor, aktiv und kompetent in einer digitalisierten Welt zu agieren. Lehrer:innen müssen also eine ausgewogene Mischung aus technischem Know-how und menschlichen Fähigkeiten vermitteln, um die Schüler:innen effektiv auf eine digital vernetzte Zukunft vorzubereiten.

7. Schlussfolgerung

Wir stehen an der Schwelle zu einer neuen Bildungsära. Lehrer:innen wie Frau Bauer haben die Chance, KI nicht nur als Hilfsmittel zu nutzen, sondern sie auch als Teil einer umfassenden Bildung zu integrieren, die junge Menschen auf eine zunehmend digitale Zukunft vorbereitet. Julia Bergers Erkenntnis in ihrem Klassenzimmer ist mehr als nur eine persönliche Anekdote; sie ist ein Mikrokosmos einer größeren Verschiebung im Bildungsbereich. Dieses Erlebnis führt uns zu einer wesentlichen Frage: Wie verändert die Integration von KI unser Bildungssystem insgesamt? Insbesondere aber müssen wir uns auch die tiefgründigere Frage stellen: Wie bewahren wir die menschliche Komponente in der Bildung, während wir KI integrieren? Schließlich sind Lehrer:innen mehr als Wissensvermittler; sie sind Mentoren, die Werte wie Ethik, Moral und kritisches Denken fördern. KI mag in der Lage sein, Informationen effizient zu verarbeiten, doch die Inspiration und persönliche Entwicklung, die Lehrer:innen bieten, sind unersetzlich. Sie sind unverzichtbar für die Entwicklung von Schüler:innen zu ganzheitlichen, moralisch gefestigten und zielorientierten Persönlichkeiten.

 

Literatur

1  mspoweruser.com/ai-in-education-statistics

2  varsity.co.uk/news/25463

3  edu.google.com/why-google/customer-stories/ivytech-gcp

4  forbes.com/advisor/de/business/software/kuenstliche-intelligenz-ki-trends-statistiken

5  digitalbusiness-cloud.de/sprachassistenten-mehr-als-jeder-zweite-deutsche-nutzt-bereits-voice

6  bitkom.org/Presse/Presseinformation/ChatGPT-in-Schule-nutzen

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